Der steigende Pflegebedarf spiegelt sich in den Begutachtungszahlen des Medizinischen Dienstes Nordrhein wider. Von 2019 bis 2023 ist die Zahl an Gutachten um 48,5 Prozent auf mehr als 395.000 gestiegen. Die Menschen in Nordrhein werden früher pflegebedürftig als noch vor fünf Jahren und leiden meist unter mehreren chronischen Erkrankungen. So hat insbesondere bei Frauen Polyarthrose, eine chronische Gelenkerkrankung, deutlich zugenommen. Depressive Störungen machen zwar nur einen kleinen Teil der pflegebegründenden Diagnosen aus, doch auffallend ist ihr starker Zuwachs. Vor allem jüngere Menschen werden aufgrund von Depressionen pflegebedürftig.
Die meisten Pflegebedürftigen sind Frauen. Es gibt heute gut doppelt so viele betroffene Frauen wie 2019 und fast jede zweite lebt allein. Pflegebedürftige versuchen in der Regel, so lange wie möglich zu Hause zu leben. Doch gerade bei der ersten Einstufung in einen Pflegegrad zeigt sich, dass häufig einfachste Hilfsmittel fehlen, um die Pflege zu erleichtern und das Leben in den eigenen vier Wänden weiterhin möglich zu machen. Es sind Hilfsmittel wie Rollatoren, Hausnotrufe, Duschhocker oder Toilettensitzerhöhungen, die durch die Gutachterinnen und Gutachter des Medizinischen Dienstes empfohlen werden. Sie stellen auch fest, dass bei Pflegebedürftigen und Angehörigen ein hoher Bedarf an Koordination und an Beratung besteht. Bei Fragen etwa zum Leistungsspektrum der Pflegeversicherung, zu Zusatzkosten und zu Entlastungs- oder Unterstützungsangeboten fühlen sich die Betroffenen nicht ausreichend informiert.
Pflege ist zwar hauptsächlich ein Thema des hohen Alters, doch auch die Zahl der Gutachten bei Kindern hat sich von 2019 bis 2023 mehr als verdoppelt. 2023 waren es rund 21.800 Kindergutachten. Der überproportionale Anstieg von Entwicklungsstörungen und ADHS führte insgesamt zu mehr Gutachten zur Pflegebedürftigkeit. Auffallend ist ihr sprunghafter Anstieg in den Jahren 2021 und 2022, also nach der Coronapandemie.
Die Erkenntnisse des Reports lassen Rückschlüsse auf die zukünftige Versorgung zu: Die stetig wachsende Zahl an Pflegebedürftigen und steigender Fachkräftemangel machen eine gute Gesundheitsvorsorge immer wichtiger. Der Bedarf an ambulanten Pflegediensten oder Tagespflegeeinrichtungen wird weiter steigen. Dementsprechend ist es eine wesentliche Herausforderung für die Politik, den Ausbau ambulanter Pflegeangebote zu fördern. Gleichzeitig muss der Vereinsamung von Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen entgegengewirkt werden, denn durch die Pflegebedürftigkeit reduzieren sich die Außenkontakte deutlich. Darüber hinaus zeigen die Erfahrungen der Gutachterinnen und Gutachter, dass sich Betroffene bei der Organisation der Pflege häufig alleingelassen fühlen.
Den Report Pflegebegutachtungen 2023 finden Sie hier als PDF zum Herunterladen.